Über die Chancen und Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Wohnens für Frauen
„Wenn Frauen sich organisieren, können sie sich gegenseitig beruflich nach vorne bringen, auf teure Dienste für alleinerziehende Mütter und pflegebedürftige Bewohnerinnen verzichten, Einsamkeit im Alter verhindern und am Aufbau einer frauenfreundlichen Stadtkultur mitwirken.“ (Philosophie für den Beginenhof in Essen, Juni 2001)
Die Stiftung trias fördert den Gedanken des gemeinschaftlichen Wohnens und unterstützt Menschen auf vielfältige und praktische Weise in ihren Projektideen. Wir sind überzeugt, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte zukunftsorientierte, nachhaltige, soziale und solidarische Formen des Wohnens sind und zugleich wichtige experimentielle Entwicklungsräume darstellen, in denen Lösungsansätze für viele gesellschaftlichen Herausforderungen ausprobiert werden können. Wir möchten einmal genauer in den Blick nehmen, welche Potentiale im gemeinschaftlichen Wohnen gerade für Frauen liegen können.
Themen wie Einsamkeit, mangelnde gesellschaftliche Teilhabe im Alter, Mehrfachbelastungen durch Familie und Beruf, zusätzliche Care-Arbeit, Pflege von Angehörigen sowie Vereinbarkeitsfragen, insbesondere für Alleinerziehende, sind für sehr viele Frauen keine Theorie, sondern gelebte Realität. Hinzu kommt der Mangel an passendem Wohnraum, wenn sich die persönlichen und finanziellen Umstände aufgrund von Familienzuwachs, Trennung oder Auszug der erwachsenen Kinder verändern.
Wir haben mit Frauen aus unserem Netzwerk gesprochen, die entweder selbst gemeinschaftlich wohnen oder aus ihrer beruflichen Perspektive heraus das Thema gemeinschaftliches Wohnen für Frauen betrachten. Herausgekommen ist eine Auswahl und Mischung an Einblicken, Impulsen und Erfahrungsberichten, die Frauen inspirieren und einladen können, sich dem Thema thematisch und gedanklich zu nähern.
Das Gemeinschafts-Frauen-Projekt "Beginenhof Essen"
Im Jahr 2007 startete die Projektgruppe um Waltraud Pohlen und Ute Hüfken als die beiden Hauptinitiatorinnen herum mit dem Umbau des ehemaligen Finanzamt-Gebäudes in ein generationsübergreifendes Wohnprojekt, in dem ausschließlich Frauen und Kinder wohnen können. Aus den früheren Büros wurden nach und nach 24 Wohnungen mit Wohnflächen zwischen 45 und 125 qm. Jede Bewohnerin hat eine abgeschlossene Mietwohnung. Die historische Beginenkultur ist für die Bewohnerinnen ein Modell, das sie in ihrer Vision, lebendig, verbunden und eigenständig zu wohnen und zu arbeiten sowie in ihrem bürgerschaftlichen Engagement bis heute inspiriert. Das Wohnprojekt für unabhängige, spirituelle und sozial engagierte Frauen bekam einen Namen: Beginenhof.
Das Projekt wurde 2017 mit dem Engagementpreis NRW ausgezeichnet und im Jahr 2021 zum Landessieger NRW beim Deutschen Nachbarschaftspreis gekürt. Eine der Hauptinitiatorinnen des Projektes ist Waltraud Pohlen, die zusammen mit Mawena Wennemann seit 15 Jahren im Beginenhof wohnt. Waltraud Pohlen ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Mawena Wennemann betreute bis Ende letzten Jahres das Wohnprojekte-Portal der Stiftung trias, bis sie in den Ruhestand wechselte. In einem schriftlichen Interview geben sie persönliche Einblicke in die Beweggründe der Gründung, die Vorteile des gemeinschaftlichen Lebens und warum Nachbarschaft schon immer eine wichtige Rolle für die Frauen spielte.
Gemeinschaftliches Wohnen für geflüchtete Frauen
Eine Wohnung ist privater Rückzugsraum, bietet Schutz, ist Lebensmittelpunkt für jeden Menschen. Alleinerziehende stehen dabei besonderen Herausforderungen gegenüber, haben sie zusätzlich noch Fluchterfahrung, stehen ihre Chancen auf geeigneten Wohnraum in Deutschland schlecht. Der Zugang zu Sozialwohnungen bleibt der Gruppe der alleinerziehenden Frauen im Asylverfahren in der Regel verwehrt. Oft verbleiben sie jahrelang in Unterkünften und können sich ohne eigene Wohnung kaum in das nachbarschaftliche Umfeld einleben. Gemeinschaftliche Wohnprojekte können eine gute Lösung sein, um schneller "anzukommen", Kontakte und Unterstützungsstrukturen aufzubauen oder die neue Sprache zu erlernen. Jedoch kommt es aufgrund der notwendigen finanziellen Beteiligungen bzw. hohen Baukosten trotzdem immer wieder zum Ausschluss dieser Gruppe, obwohl viele Projekte sich ein sozial und kulturell inklusives Wohnen wünschen.
Der Verein XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. (Berlin) und die Stiftung trias haben mit ihrem im Juni 2019 aufgesetzten Sondervermögen ein Instrument entwickelt, das diesen Wunsch Wirklichkeit werden lässt: Das entwickelte Finanzierungsmodell ANKOMMEN UND BLEIBEN "Wohnraum für Geflüchtete" ermöglicht es geflüchteten Menschen, an gemeinschaftlichen Wohnprojekten teilzunehmen - eine bisher einzigartige Initiative, die unabhängig von staatlicher Unterstützung Wohnungen in genossenschaftlichen Projekten finanziert.
Eines der Gemeinschaftswohnprojekte, die auf diesem Wege Wohnraum für Geflüchtete in ihr Projekt integrieren, ist das genossenschaftliche Gemeinschaftswohnprojekt "Quartier Wir" in Weißensee in Berlin. Die Baugenossenschaft BeGeno16 stellte im Zuge der Entstehung gleich mehrere Wohnungen für Geflüchtete zur Verfügung. Durch die komplett freie Finanzierung wurde der Bezug unabhängig vom Aufenthaltsstatus möglich.
Der Journalist Jürgen Buch und Bea Fünfrocken, die das Projekt "Wohnraum für Geflüchtete" bei XENION begleitet, sprachen im November 2020 mit Mukminat. Sie ist alleinerziehende Mutter, wohnt im "Quartier WIR" und erzählt, wie es ist, in einem solchen Projekt zu wohnen.
Über Siedlungsstrukturen, den Wandel der Frauen ab 50 und veränderte Wohnbiografien
Alternative gemeinschaftliche Wohnformen können für junge oder ältere Frauen eine passende alternative Lebensform darstellen. Doch gerade in der zweiten Lebenshälfte stehen Frauen häufig an Punkten der Veränderung - das kann beispielsweise die eigenen Wohn- und Lebenskonstellation betreffen, die Tatsache, dass die alternden Eltern plötzlich mehr Aufmerksamkeit oder Pflege benötigen bis hin zu persönlichen Schicksalsschlägen wie eine ernsthafte Erkrankung.
Birgit Kasper, geschäftsführende Leitung des Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen und der Landesberatungsstelle Hessen sowie Mitglied im Kuratorium der Stiftung trias und des Vorstands der Bundesvereinigung FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V., nimmt die Gruppe der Frauen ab 50 genauer in den Blick. In einem 20-minütigen Interview spricht die Stadtplanerin, die auch wissenschaftlich forscht, über neue Anforderungen an Siedlungsstrukturen und Wohnangebote, die Frage "Was brauche ich als Frau eigentlich, damit es mir gut geht?", den Zusammenhang von weiblichen Wohnbiografien und Selbstbestimmtheit und darüber, welche Veränderungen sie in ihren Beratungsgesprächen mit Frauen in der zweiten Lebenshälfte wahrnimmt.
Wenn die Wellen des Lebens höher schlagen - ein Erfahrungsbericht einer Betroffenen
In besonders fordernden Lebenssituationen kann Gemeinschaft im direkten Wohnumfeld positive Impulse schenken, z.B. wenn die Diagnose Brust-Krebs das Leben von jetzt auf gleich auf den Kopf stellt - eine emotionale Ausnahmesituation. Unsere Projekt-Partnerin für Veranstaltungen zur Gründung von jungen Wohn-Genossenschaften, Sabine Conti, ist davon betroffen. Sie hat ihre Erfahrungen in einem künstlerischen Buch und in einer Wanderausstellung verarbeitet. Beides wurde möglich durch zahlreiche Spenden von außen. Wir haben mit Sabine Conti gesprochen und sie gefragt, was Leben in der Gemeinschaft für sie ausmacht.
Sabine Conti
Der neue Fisch in mir
Krebs – und ein anderes Leben beginnt
Illustration einer Krebsbehandlung
ISBN 978-3-845858-65-7 – 106 Seiten