Appell gegen geplanten „Bau-Turbo“ der Bundesregierung
>> 1. Appell gegen die Einführung des „Bau-Turbo“ - § 246e BauGB (Februar 2024)
>> Nein zu diesem"Bau-Turbo" § 246e BauGB - Ja zu sozialer und nachhaltiger Stadtentwicklung (Oktober 2024)
Um der in vielen Städten in Deutschland bestehenden Wohnungsknappheit zu begegnen, hat die Bundesregierung vor fast zwei Jahren das Ziel formuliert, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Die reale Entwicklung hinkt diesem Ziel deutlich hinterher: Im Jahr 2023 wurden nur rund 270.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Um den Wohnungsbau zu beschleunigen, wurde auf dem „Baugipfel“ im September 2023 der sogenannte „Bau-Turbo“ angekündigt. Inzwischen hat das Bundesbauministerium (BMWSB) einen konkreten Umsetzungsvorschlag erarbeitet: Im Baugesetzbuch (BauGB) soll der neue Paragraf 246e eingeführt werden. Damit würden etablierte Planungsverfahren, demokratische Beteiligungsprozesse und das kommunale Initiativrecht untergraben. Zersiedelung und Flächenfraß würde die Tür geöffnet. Im Schulterschluss mit 19 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen positioniert sich die Stiftung trias mit einem Appell klar gegen diese hochproblematische Gesetzesänderung. Als Alternative schlägt das Verbändebündnis Maßnahmen vor, wie der Wohnungsbau unter Berücksichtigung sozialer Belange und des Klima- und Umweltschutzes gefördert werden kann.
Welche Regelungen enthält der geplante § 246e BauGB im Einzelnen?
Das BauGB ist in Deutschland eine zentrale Gesetzesgrundlage rund ums Bauen – es enthält Regelungen von der Siedlungsplanung bis hin zum einzelnen Bauvorhaben. Der § 246, um den es beim aktuellen „Bau-Turbo“ geht, war ursprünglich als Notstandsregelung eingeführt worden, um eine schnelle Errichtung von Flüchtlingsunterkünften zu erleichtern. Mit dem neuen § 246e soll diese Norm nun auf den regulären Wohnungsbau übertragen werden. Konkret würde dadurch ermöglicht, dass in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt von den Vorschriften des BauGB, die normalerweise für Wohnungsbauvorhaben gelten, weitreichend abgewichen werden kann. Diese Regelung würde für Projekte mit mehr als sechs Wohnungen gelten und wäre bis Ende 2026 befristet. Aktuell wird der Formulierungsvorschlag des Bauministeriums in verschiedenen Ausschüssen des Bundestages beraten.
§ 246e fördert riskante Fehlentwicklungen
Mit dem § 246e BauGB würden bewährte Prinzipien des Städtebaurechts über Bord geworfen. Die geordnete städtebauliche Entwicklung, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Umweltverträglichkeit, Öffentlichkeitsbeteiligung und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums - allesamt Grundsätze, die essenziell für unsere Städte sind. Durch den § 246e BauGB könnten Wohngebäude an denkbar ungeeigneten Standorten wie Gewerbegebieten, Randlagen oder sogar Sportflächen errichtet werden. Auf der „grünen Wiese“ zu bauen, also bisher nicht versiegelte Flächen in Anspruch zu nehmen, würde durch den § 246e wesentlich erleichtert. Das widerspricht nicht nur den Prinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung, sondern schafft auch enorme Herausforderungen für soziale Infrastrukturen und den Umweltschutz. Zugleich würde durch die Einführung des § 246e die verbindliche Öffentlichkeitsbeteiligung, die im BauGB im Rahmen der Bauleitplanung vorgesehen ist, ausgehebelt. Ein wichtiges demokratisches Element der Planungskultur würde damit umgangen.
Obwohl die Norm auf drei Jahre begrenzt sein soll, würden erteilte Baugenehmigungen unbefristet gelten. Dies birgt die Gefahr von langfristigen städtebaulichen, verkehrlichen und sozialen Problemen - eine Hypothek für die Zukunft.
Enkeltauglich bauen: sozial gerecht und klimaschonend!
Der geplante § 246e setzt klima- und flächenschutzpolitische Fehlanreize und hat potenziell gravierende Konsequenzen für die Siedlungspolitik, die Lebensqualität, die sozial-ökologische Transformation der Wohnungspolitik sowie für die Planungs- und Beteiligungskultur in Deutschland. Aus diesem Grund unterstützt die Stiftung trias den von 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen getragenen Appell gegen die Gesetzesänderung. Der Wohnungsbau muss nicht nur beschleunigt werden, sondern muss auch unter Berücksichtigung sozialer Belange und des Klima- und Umweltschutzes ausgerichtet werden! Dafür schlägt das Verbändebündnis konkrete Maßnahmen vor:
- Innenentwicklung fördern: Anstatt auf der „grünen Wiese“ zu bauen, muss das Potenzial zur Nachverdichtung genutzt werden. Allein durch Aufstockungen, also die Errichtung von zusätzlichen Geschossen auf bereits bestehenden Gebäuden, könnten laut einer Deutschlandstudie der TU Darmstadt zwischen zwei und drei Millionen neue Wohnungen entstehen. Solche flächensparenden Lösungen sollten bei der Schaffung von neuem Wohnraum im Fokus stehen. Dafür braucht es baurechtliche Anpassungen und gezielte Fördermaßnahmen.
- Bestandsentwicklung vor Neubau: Durch Aktivierung von Leerstand, Umnutzungen und einer besseren Ausnutzung bestehender Gebäude lassen sich weitere Potenziale im Bestand heben. Die Stiftung trias unterstützt diese Praxis unter anderem durch die Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen, die entsprechende Modelle vorleben.
- Bereits genehmigte Wohneinheiten errichten: In Deutschland sind fast 900.000 Wohneinheiten genehmigt, aber noch nicht gebaut. Die vielfältigen Ursachen dieses „Bauüberhangs“ sollten angegangen werden, werden mit der Einführung des § 246e aber nicht adressiert.
- Klare Anforderungen für sozial geförderten Wohnraum: Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, braucht es klare Anforderungen zur Errichtung von sozial gefördertem Wohnraum oder der Einhaltung von Mietobergrenzen. Diese Anforderungen fehlen im § 246e. Vielmehr erleichtert die Regelung die Umsetzung von Mieterhöhungen im Rahmen von Umbauten, Ergänzungen und Erweiterungen. Dadurch besteht die Gefahr, dass soziale Probleme verschärft oder neu geschaffen werden.