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Forschungsprojekt WellCare

Füreinander sorgen in gemeinschaftlichen Wohnformen

Neue Konzepte des Wohnens sind oftmals motiviert von der Vision von einem besseren, nachhaltigeren, solidarischeren Leben. Sie gelten als Experimentierräume, um Entwicklungen wie der Alterung der Gesellschaft, veränderten Familienstrukturen und Rollenbildern mit innovativen Lösungsansätzen zu begegnen. Sorgearbeit, in der Wissenschaft als "Care-Arbeit" bezeichnet, ist dabei ein wichtiges Thema.

Die Verantwortung für das eigene Kind tragen, sich Mit-Kümmern um Kinder von Mitbewohner*innen, emotionale Zuwendung zu Freund*innen in Krisenzeiten geben oder einfach den ganz normalen, alltäglichen Haushalt bewältigen: all diese Tätigkeiten tragen dazu bei, Teilhabe und Gemeinwohl von der Kindheit bis ins hohe Alter zu sichern. Fast jede*r ist irgendwie in Care-Arbeit involviert, aber Care-Arbeit ist oft auch ungleich verteilt. Angesichts dessen stellen sich viele Menschen, die in gemeinschaftlichen Wohnformen leben, die Frage: Wie können wir in unserer Gemeinschaft so füreinander da sein, dass alle profitieren? Und wie können wir die Sorgearbeit möglichst gerecht verteilen?

Antworten darauf sucht das Forschungsprojekt WellCare, das Anfang 2020 gestartet ist und sich aktuell in der Auswertungsphase befindet. Es ist ein Verbundprojekt der Frauenakademie München (FAM) und der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg). Das Forschungsprojekt gliedert sich in zwei Teile, die unterschiedliche Aspekte von neuen Wohnformen und Care untersuchen.

Verknüpfung von Wohnen und Care in der Praxis

Wie innerhalb von kollektiven Wohnprojekten Sorgearbeit praktisch organisiert und gestaltet wird, wird im Teilprojekt der Frauenakademie München erforscht. Beobachtungen und Interviews in Wohnprojekten sollten ein zentraler Baustein der Erhebung sein. Doch da der Start des Forschungsprojekts mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammenfiel, war zunächst der Einfallsreichtum der Forscher*innen gefordert, um ihre Methodik den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Für die Deutlichkeit der Ergebnisse hatte diese Situation auch ihre guten Seiten, berichtet Sandra Eck als eine der Projektverantwortlichen von der Frauenakademie München. Denn während der Corona-Hochphase ließ sich der gesellschaftliche Mehrwert gemeinschaftlicher Wohnformen besonders gut nachvollziehen. Menschen um sich zu haben, die gegenseitig "Alltagscare" übernehmen, erweist sich gerade in krisenhaften Situationen als besonders wertvoll. Während der Lockdowns konnten das beispielsweise Tätigkeiten sein wie füreinander einzukaufen. Aber auch Gemeinschaftsflächen wie Werkräume oder eine Großküche zur Verfügung zu haben – die ebenso jemand pflegen und in Ordnung halten muss – bekam eine ganz neue Bedeutung.

Die Forscher*innen der FAM beschäftigten sich auch mit der Frage, inwiefern gemeinschaftliche Wohnprojekte eine geschlechtergerechte Verteilung von Care ermöglichen oder fördern können. Bei der Bewertung der Ergebnisse kommt es, so Eck, auf die Betrachtungsebene an. So fördere die basisdemokratische Alltagskultur, die in praktisch allen gemeinschaftlichen Wohnformen gelebt werde, tatsächlich eine bessere Verteilung von Care-Arbeit im Alltag, weil Aufgabenteilungen stärker ausgehandelt und Regeln festgelegt werden. Ebenso trage dazu bei, dass Wohnprojekte oft einen positiven Raum für vielfältige Beziehungsformen und Geschlechtsidentitäten schaffen. Wer am Ende welche Care-Aufgabe übernimmt, sei zwar trotzdem etwas geschlechtlich vorstrukturiert ("Wer wartet die Heizung? Wer backt einen Kuchen für die Adventsfeier?"). Solange die Gesamtkultur im Projekt stimme, sei die Aufgabenverteilung im Detail für die beteiligten Personen aber vielleicht gar nicht so bedeutungsvoll, meint Sandra Eck. Sie hebt hervor, dass der positiven Tendenz in den Projekten die strukturelle Rahmung z.B. in Form gesetzlicher Regelungen entgegenstünden, die noch stark am Modell der Kleinfamilie ausgerichtet seien. Hier bräuchte es Anpassungen und neue Instrumente, um der tatsächlich existierenden Vielfalt an Care-Gemeinschaften gerecht zu werden.

Die Rolle der Kommunen bei der Förderung neuer Konzepte von Wohnen und Care

Inwieweit sich Kommunen mit neuen Konzepten zur Verknüpfung von Wohnen und Care befassen und diese in der kommunalen Praxis umsetzen, sind die zentralen Fragen des zweiten Teilprojekts von WellCare unter Federführung der OTH Regensburg. Die Ergebnisse zeigen, dass der Handlungsspielraum der Kommunen relativ gering ausfällt – einerseits, weil die Kompetenzen für die relevante Gesetzgebung auf anderen föderalen Ebenen liegen, andererseits, weil der Mangel an kommunalem Flächenbesitz die Steuerungsmöglichkeiten stark einschränkt. Hinzu kommen laut den bisherigen Auswertungen der Studienergebnisse Barrieren durch abgegrenzte Ressort-Logiken, an denen die Förderung von Schnittstellen-Themen wie gemeinschaftlichem Wohnen und Care häufig scheitert. Allerdings, so betont Sandra Eck, findet zugleich in manchen Kommunen eine Hinwendung zur Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen statt – z.B. durch die Vergabe von Flächen im Konzeptverfahren oder die Einrichtung von Beratungsstellen.

Mehr erfahren

Wer sich näher mit den Ergebnissen der beiden Teilprojekte von WellCare befassen möchte, findet erste wissenschaftliche Publikationen auf der Website des Verbundprojekts. Anfang 2024 soll ein Sammelband erscheinen, dessen Beiträge auf unterschiedliche Facetten des Forschungsprojekts ausführlich eingehen. Derweil entwickelt das Team der FAM und OTH Regensburg bereits erste Ideen für ein Anschlussprojekt.

>> zum Forschungsprojekt WellCare